Eine Person, die
Erleuchtung erlangt hat, nennen wir den „Erwachten“. Das
bedeutet, dass diese Person wach ist. Wenn wir im Traum sind, werden
die Dinge um uns herum nicht klar für uns erkennbar sein. Auch wenn
wir aus dem Schlaf aufwachen, dann können wir unseren Traum oft
nicht erinnern, weil die Dinge im Traum für uns nicht klar sind. Im
Tagtraum ist es genauso. Wenn wir in unserem Leben leben, und die
Dinge nicht klarsehen können, dann sind wir am träumen – obwohl
wir wach sind. Wie können wir ein wirklich Erwachter werden, wie der
Buddha? Den Buddha nennen wir den Erwachten. Die Silbe „buddh“
bedeutet „wach“ oder „erwacht“, und „Buddha“ bedeutet
„der Erwachte“. Dieser Erwachte hatte den Namen „Gautama“. So
hieß der Buddha – Gautama.
Weil ich kein
Intellektueller bin, kein Gelehrter, habe ich nicht viel Wissen. Ich
bin ein fauler Mönch – das weiß ich ganz genau. Ich weiß nicht,
wie die rechte und die linke Gehirnhälfte funktionieren –
vielleicht werde ich das noch eines Tages lernen. Aber ich weiß sehr
genau, wie unser Bewusstsein funktioniert. Unser Bewusstsein ist ein
sehr mächtiges Werkzeug. Wenn wir es gut kennen, dann können wir
vieles erreichen, was wir uns in unserem Leben wünschen.
In der spirituellen
Tradition gibt es zwei verschiedene Bezeichnungen für einen
spirituellen Lehrer. Manche nennen wir einen Meister, und manche
nennen wir einen Lehrer. Was ist der Unterschied zwischen einem
Meister und einem Lehrer? Der Lehrer kann viel Wissen haben über
viele verschiedene Dinge, und er kann diese Art von Wissen an uns
weitergeben. Aber manche Dinge, von denen er weiß, hat er selber
noch nicht erfahren. Der Meister hingegen, der selber die Erfahrungen
macht, kann diese Art von Erfahrungen an uns weitergeben. Deshalb
hören wir manchmal, wie einige spirituelle Lehrer als Meister
bezeichnet werden, und andere als Lehrer. Woran können wir einen
spirituellen Meister erkennen? Ein Meister ist jemand, der durch
seine Worte unseren eigenen inneren Meister aufwecken kann, sodass
wir selber auch zu einem Meister werden. Ein Lehrer kann nur sein
Wissen an uns weitergeben, und wir müssen mit der Zeit immer mehr
Wissen aufbauen. Später werden wir dann ein schweres Paket mit uns
herumtragen, weil wir so viel Wissen angehäuft haben, das wir nicht
verdauen können. Wissen ist wie ein Kuchen, der auf ein Blatt Papier
gezeichnet wurde. Wir kennen ihn, wir sehen ihn, aber wir können ihn
nicht schmecken. Er kann nicht zu unserem Blut, zu unserem Fleisch,
zu unseren Zellen werden. Aber wir fühlen uns inspiriert, wir fühlen
uns zufriedengestellt, wenn das Wissen erhalten haben. Der Meister
überträgt uns nicht nur seine Worte, sondern auch eine Art von
Energie. Wenn wir in der Nähe eines Meisters sind, dann spüren wir
den Unterschied. Wir fühlen uns friedvoll, wir empfinden Mitgefühl
und Liebe. Die Qualitäten der Nicht-Angst und des Selbstbewusstseins
in uns werden gestärkt, wenn wir in der Nähe eines Meisters sind.
Wenn wir Glück haben, werden wir einen Meister treffen. In der
spirituellen Dimension ist es wichtig für uns, einen Meister zu
haben. Wenn wir einen Meister treffen, dann wird unser eigener
innerer Meister aufwachen. Wenn wir bereits zufrieden sind mit dem
Wissen, dann werden wir schwer werden. Dann sind da viele Schichten
des Wissens, die unsere Augen überdecken, unsere Augen der Einsicht.
Und unser innerer Meister wird weiterhin schlafen.
Ich benutze oft ein
Beispiel, um zwischen einem Meister und einem Lehrer zu
unterscheiden. Beide sind gut, aber wenn wir uns in der spirituellen
Dimension bewegen, dann sollten wir uns das Ziel setzen, eines Tages
einen Meister zu treffen, sodass wir selbst auch eines Tages zu einem
Meister werden können. Ich selber hatte das Glück, vielen Meistern
zu begegnen. Manche von ihnen sind in der Welt nicht bekannt; sie
leben in den hohen Bergen Vietnams, sie leben dort in Höhlen. Ich
hatte die Gelegenheit, sie dort zu treffen, mit ihnen zu sprechen und
nah bei ihnen zu sitzen. Und ich habe gespürt, dass ihre Energie
sehr stark ist.
Der Teich
und der Brunnen
Ich möchte ein Bild
teilen, mit dessen Hilfe wir den Unterschied zwischen Meister und
Lehrer verstehen können. Wir betrachten einen Teich und einen
Brunnen. Wenn wir uns den Teich anschauen, dann sehen wir, dass er
größer ist als der Brunnen. Von außen betrachtet sieht es aus, als
ob in dem Teich sehr viel Wasser ist. Dieses Wasser in dem Teich ist
wie das Wissen und der Teich ist wie ein Lehrer. Dieser Lehrer hat
viel Wissen über unterschiedliche Felder des Lebens. Aber was wird
mit dem Wasser im Teich passieren, wenn die Sonne hervorkommt und auf
den Teich scheint? Das gesamte Wasser wird verdunsten. Und der Teich
wird zu einem leeren Teich. Wenn wir immer mehr Wissen anhäufen über
viele verschiedene Themen, und dann eines Tages einer schwierigen
Situation, einem Problem in unserem Leben gegenüberstehen, dann wird
uns unser Wissen nicht viel nützen. Und wenn die Menschen kommen, um
das Wasser aus dem Teich zu schöpfen, und diese Menschen nutzen nur
diese eine Wasserquelle, weil sie keine andere kennen, dann wird der
Teich mit der Zeit Angst davor bekommen, eines Tages leer zu sein und
kein Wasser mehr zu haben.
Der Brunnen hingegen ist
wie ein Meister. Der Brunnen sieht klein aus, wenn man ihn von außen
betrachtet. Auch in dem Brunnen ist Wasser, so wie in dem Teich. Aber
der Teich hat Angst davor, dass die Menschen kommen könnten und das
gesamte Wasser aus ihm schöpfen könnten, weil der Teich keine
anderen Quellen kennt, aus denen er das Wasser beziehen könnte. Bei
dem Brunnen ist das anders. Wenn die Menschen zu ihm kommen, um
Wasser zu holen, dann wird der Brunnen sehr glücklich sein. Der
Meister ist sehr glücklich, wenn die Menschen kommen und das Wasser
nehmen, weil dann frisches Wasser von unten heraufkommt. Der Brunnen
ist sehr tief und in der Erde verwurzelt. Der Teich sieht zwar sehr
groß aus, aber er ist nicht so tief. Falls er doch so tief wird,
dann wird er zu einem Brunnen, dann ist er kein Teich mehr. Und weil
das Wasser aus dem Inneren des Brunnen selbst kommt, nennen wir dies
„Einsicht“. Die Einsicht ist die innere Sicht, und wir nennen sie
die Weisheit – sie ist nicht das Wissen. Die Weisheit ist die
Kenntnis, die aus dem Inneren kommt; sie kann nicht von außen
erworben werden. Bei einem Lehrer sprechen wir nicht von Weisheit,
sondern von Wissen, weil dieses Wissen nicht aus ihm selbst
herauskommt, sondern aus vielen verschiedenen Quellen angehäuft
wurde.
Es gibt noch eine
Besonderheit bei dem Brunnen: Er sieht zwar klein aus, aber er ist
sehr tief. Und dort unten tief unter der Erde fließt vielleicht ein
Fluss, ein unterirdischer Strom. Solch eine unterirdische
Wasserquelle hat der Teich nicht. Und dieser unterirdische Strom ist
durch viele weitere Flüsse mit dem großen Ozean verbunden. Der
Brunnen sieht also klein aus, aber tatsächlich ist diese
Wasserquelle sehr groß.
Aber wie können wir nun
unseren eigenen Brunnen ausgraben und ihn sehr tief werden lassen,
sodass wir unser eigenes Wasser daraus bekommen können? Nur solche
Menschen, die diese Erfahrung selbst gemacht haben, können uns den
Weg zeigen, wie wir tief graben und unser eigenes Wasser schöpfen
können. Und was wird dann passieren, wenn wir erst einmal unser
eigenes Wasser haben? Wir werden zu einem glücklichen Menschen, zu
einem erfolgreichen Menschen. Wir werden zu einem weisen Menschen;
wir können Dinge sehen, die die Leute um uns herum nicht sehen. Wir
werden auch Dinge hören, die andere Menschen nicht hören können.
Nicht etwa, weil sie keine Augen oder keine Ohren haben; sie haben
Augen und Ohren. Aber sie können nicht sehen und nicht hören, weil
sie in einem Tagtraum leben. Sie sehen nur das, was sie träumen. Sie
können nichts anderes sehen.
Um unseren eigenen
Brunnen tief auszugraben, müssen wir im ersten Schritt einfach wir
selbst sein. Der Buddha war einfach, wie er war. Jesus Christus war,
wie er war. All die Erleuchteten sind, wie sie sind. Deshalb sind sie
erwacht und erleuchtet. All die erfolgreichen Menschen sind, wie sie
sind. Also ist es sehr wichtig, wir selbst zu sein. Und dies ist auch
der erste Schritt den wir tun können, um das zu erreichen, was wir
uns in unserem Leben wünschen. Wenn wir die Gelegenheit haben,
erfolgreiche Menschen zu treffen, die auch glücklich sind – es
gibt auch erfolgreiche Menschen, die nicht glücklich sind, aber ich
spreche hier von den erfolgreichen und zugleich glücklichen Menschen
– dann können wir eine Gemeinsamkeit in allen diesen Menschen
sehen: Sie sind sie selbst; sie sind so, wie sie eben sind.
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